Herr Hund geht nach draußen.
Das erste Jahr mit einem Galgo
Autorin: Helena Pachs
Anderthalb war er, als sie ihn auf der Straße fanden; streunend, abgemagert. Anderthalb Jahre saß er dann noch in einem spanischen Tierheim, weil ihn niemand wollte. Der Name, den er mitbrachte, war ein spanischer Irgendwasname, den er nicht kannte. Ich nannte ihn »Herr Hund«. Und dabei ist es geblieben.
Es ist wieder soweit: Die Jagdsaison im Süden Spaniens hat begonnen, und wieder geht die Zahl der ausgesetzten und gequälten Windhunde in die nicht zu schätzenden Zehntausende. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Zahl der Geretteten steigt und vor allem die Zahl der Menschen, die sich vor Ort und auch hier für den Tierschutz stark machen. Keine Frage: Das Bewusstsein für das Wohl der Tiere nimmt zu, nicht nur für Hunde, sondern auch für die sogenannten »Nutztiere«, was für ein scheußliches Wort. Die Sachlage, immerhin, hat der Verfasserin einen wunderbaren Galgorüden beschert, der sich vor über einem Jahr bei ihr eingerichtet hat, obwohl er eigentlich nur für drei Tage zur Pflege bleiben sollte.
Herr Hund ist eine Mischung aus Sanftmut, Schönheit, Eleganz und Rennmaschine. Und Beschützer. Kürzlich schlug er einen Berner Sennenhund in die Flucht, der doppelt so breit war wie er. Und das nur, weil dieser uns anstarrte und partout nicht weichen wollte. Seinen ganzen Mut hatte Herr Hund zusammengenommen, um anschließend an meiner Seite erhobenen Hauptes unseren Gassigang über die Felder fortzusetzen. Manchmal wundere ich mich über diesen extremen Hund. Bisweilen kann ich mich an seiner wunderschönen schwarzen Maserung nicht sattsehen, an seinen bernsteinfarbenen Augen und den Lidern, die aussehen, als wären sie akkurat mit schwarzem Kajal umrandet. Der ganze Hund besteht aus Brustkorb und Muskeln, und wenn er über die Felder rennt, dann fasse ich es nicht, wie schnell er ist, unfassbar schnell, zum Rennen geboren, selbstzerstörerisch, keinen Schmerz empfindend; manchmal kommt er blutend zurück, kürzlich, weil er sich eine Kralle abgerissen hat.
Genau mit diesem Zwiespalt sieht sich wohl jeder Galgohalter konfrontiert: Der Hund muss seiner Natur folgen und sich austoben können; auf der anderen Seite sollte das so kultiviert erfolgen, dass er keinen Hasen jagt und sich keine ernsthaften Verletzungen zuzieht. Zudem sind die meisten traumatisiert, wenn sie bei uns ankommen, was unendlich viel Geduld kostet. Ich glaube, dass jede Hundefreundin da so ihre eigene Lösung findet. Wir hatten definitiv besonderes Glück: Herr Hund ist vollkommen auf mich fixiert, und ich kann ihn abrufen, von fast überall her.
Manchmal, wenn er im Garten einen Kohlrabi gejagt hat und hereinrennt, prustend, schnaubend, dann frage ich ihn: »Na, hast du das Schaf erlegt?« Kürzlich habe ich entdeckt, dass er Salat frisst. Aber nur den angemachten, mit Zitrone und Zwiebeln. Und auch Bücher liebt er. Vielleicht riechen die besonders gut, Gelatine im Buchleim, eine Vorbesitzerin, die mit ihren Wurstfingern darin blätterte, wer weiß? Den Buchdeckel von »Pickeldi und Frederick« – die Ferkel, wie passend – hat er jedenfalls fertig. Wenn ich es recht gesehen habe, ist er gerade auf Seite eins. Bisweilen geht er mir auch beim Schreiben zur Hand. Das hat dann beispielsweise eine Zeile von »+« zur Folge, je nachdem, auf welcher Taste seine Nase gerade zu liegen gekommen ist.
Alles in allem ist es eine echte Win-Win-Situation: Ich kümmere mich um sein Wohlbefinden, er passt auf mich auf und bringt mir bei, jeden Tag zu nehmen wie er ist, ohne die vollständige Kontrolle und mit mehr Vertrauen in das Leben.
Verlag: Norderstedt /BoD
ISBN: 978-3-7534-7852-7
Preis: € 6,90