Schon seit längerem will der Österreichische Hundehalterverband (ÖHV) die seit Mitte Februar 2019 geltenden schärferen Regeln für sogenannte Listenhunde in Wien zu Fall bringen. Gelingen sollte das über den Weg zum Verfassungsgerichtshof mithilfe eines sog. Individualantrags im Namen von drei betroffenen Wiener HundehalterInnen. Denn einige Hunde in Wien unterliegen – nur aufgrund ihrer Rasse – einer kombinierten Maulkorb- und Leinenpflicht im öffentlichen Raum.
Außerdem ist der kombinierte Maulkorb- und Leinenzwang unsachlich, so Dr. Hans Mosser, Präsident des Österreichischen Hundehalterverbandes. Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben belegt, dass die Rasse des Hundes kein Ursachenfaktor für Beißunfälle ist. Das Wiener Gesetz kann daher lediglich eine vermutlich populistisch vermittelte Scheinsicherheit sein. Zudem steht die kombinierte Maulkorb- und Leinenpflicht in Konflikt mit dem im Verfassungsrang stehenden Tierschutzgedanken. Mosser sieht darüber hinaus auch eine Unverhältnismäßigkeit, denn Halter von Listenhunden sind sowieso verpflichtet, einen Hundeführschein mit umfangreichen theoretischen und praktischen Aufgabenstellungen zu absolvieren. Es war also höchste Zeit, diese Diskriminierung zu beenden.
Fast die Hälfte aller eingereichten Individualanträge werden vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) üblicherweise zurückgewiesen bzw. erst gar nicht behandelt, sei es aufgrund von Formfehlern oder mangels Aussichten auf Erfolg. Der Individualantrag des ÖHV (bzw. der betroffenen HundehalterInnen) wurde jedoch zugelassen und zur Bearbeitung an das Richtergremium des VfGH weitergegeben. Ein erster Erfolg, der dem ÖHV zeigte, dass er am richtigen Weg ist. Schließlich ging alles seinen geordneten Weg und die Wiener Landesregierung musste tatsächlich auf Aufforderung des VfGH am 21.4.2020 eine Äußerung an den VfGH abgeben. Die AntragstellerInnen konnten nun ihrerseits wiederum eine sehr umfangreiche Stellungnahme zu der Äußerung der Stadt Wien abgeben und viele darin vorhandenen Behauptungen widerlegen. Die Chancen auf ein positives Urteil standen damit sehr gut.
Am 13.7.2020 folgte dann der große Schock: Der VfGH lehnte die Behandlung des Antrages – „im Nachhinein“ – mit folgender Begründung ab:
„Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art. 140 Abs. L Zt lil. c B-VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art. 140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken. Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist. Der Antrag behauptet die Verfassungswidrigkeit des § 5a Abs. 12 des Gesetzes über die Haltung von Tieren (Wiener Tierhaltegesetz): Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes lässt das Vorbringen des Antrages die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat: Der Wiener Landesgesetzgeber überschreitet den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht, wenn er für hundeführerscheinpflichtige Hunde – neben einer Reihe weiterer Voraussetzungen, die Halter und Halterinnen sowie Verwahrer und Verwahrerinnen solcher Hunde erfüllen müssen – anordnet, dass sie an öffentlichen Orten, ausgenommen in allseitig umzäunten Hundezonen, mit einem Maulkorb und einer Leine versehen sein müssen. Daran ändert auch nichts, dass der Landesgesetzgeber, der mit dem Wiener Tierhaltegesetz das Interesse des Schutzes vor Gefahren, die sich aus der Tierhaltung ergeben, verfolgt, keine Ausnahmemöglichkeit für kranke Hunde vorsieht, zumal die angesprochenen Gefahren von kranken Tieren gleichermaßen ausgehen können.“ (Verweise entfernt)
Der im üblichen Weg zur Behandlung zugelassene Antrag wurde also plötzlich während der Bearbeitung abgelehnt. Dieses Vorgehen ist zwar sehr unüblich, wie Juristen sagen, aber der VfGH darf das das natürlich trotzdem tun, wenn er es für richtig hält. Die Frage stellt sich natürlich, warum tat er das.
Wie aus Insiderkreisen zu erfahren war, gab und gibt es seit einigen Monaten unzählige Individualanträge betreffend die Corona-Krise (von Unternehmern etc.), die der VfGH nun ebenfalls derzeit bearbeiten muss. Der VfGH hatte also zum Zeitpunkt der Behandlung unseres Antrages sehr viel Arbeit. Dass dadurch „weniger wichtig erscheinende“ Anträge einfach nicht weiter bearbeitet werden konnten oder „abgewimmelt“ wurden, kann der ÖHV nur vermuten. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat. Dass von Seiten der Stadt Wien – vor den anstehenden Wahlen – interveniert worden sein könnte oder VfGH-Richter gar beeinflussbar sein könnten, ist natürlich unvorstellbar und wohl auch nicht der Fall. Andernfalls verlöre man sämtliches Vertrauen in den Rechtsstaat.
Doch das Investment, die Zeit und das Geld plus das persönliche Engagement sind jedoch noch nicht verloren, auch wenn der Antrag „abgewürgt“ wurde. Das Thema ist – so scheint es dem ÖHV – vermutlich einfach als so unwichtig eingestuft worden, dass nicht einmal ein Urteil gefasst wurde; sozusagen einfach vom Tisch gewischt. Dennoch war die viele Arbeit nicht ganz umsonst, denn der ÖHV und alle Mitstreiter haben sehr viele Unterlagen – und mittlerweile auch viel Erfahrung – gesammelt und unser aller Einsatz gegen diese ungerechten Gesetze geht weiter.