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Anatolische Hirtenhunde – Karabasch, Akbasch, Kangal und Co. – Missverständnisse und offene Fragen

In vielen Tierheimen Deutschlands, aber auch Österreichs, müssen immer öfter Herdenschutzhunde (HSH) aufgenommen werden. Dabei stellt der anatolische Hirtenhund Kangal inzwischen in vielen Tierheimen die größte Gruppe unter diesen Hunden. So verzeichnet das Tierheim Dortmund in diesem Bereich seit ca. 3 Jahren starke Zuwächse, wie Tierheimleiter Dirk Rojahn erklärt.

Nicht nur im Tierheim Dortmund wächst die Zahl von Kangals stetig an, auch andere Tierheime berichten zunehmend darüber. Herdenschutzhunde (HSH) haben spezielle Bedürfnisse und daher muss auch die Vermittlung darauf abgestimmt werden. Und genau hier liegen die Probleme: Wirklich geeignete neue Halter sind – gerade in Großstädten – Mangelware.

Charakteristika der Herdenschutzhunde
Die Missverständnisse ­beginnen eigentlich schon beim Begriff ­„Herdenschutzhund" und setzen sich bei der rassebezogenen Bezeichnung und Namensgebung fort. Auch wenn unser Sprachgebrauch die Vermutung nahelegt, so sind Herdenschutzhunde keine Hütehunde! ­Herdenschutzhunde zeichnen sich durch einen starken Schutztrieb und ein ausgeprägtes Territorialverhalten aus. Dabei leben sie mit den zu schützenden Tieren zusammen und betrachten sie als Rudelmitglieder. Bei ihrer Schutzarbeit agieren die HSH eigen- und selbständig und bedürfen daher keiner Kommandos oder Befehle eines begleitenden Menschen, in ihrem ursprünglichen Arbeitsumfeld also des Hirten. Herdenschutzhunde ­strahlen Gelassenheit und Stärke aus und neigen nicht zu Temperamentsausbrüchen. Sie können aber blitzschnell zu reaktionsschnellen Beschützern werden, wenn es die Situation erfordert. Allen Fremden gegenüber sind HSH reserviert und misstrauisch. Ein weiteres Charakteristikum der HSH ist ihre Anspruchslosigkeit. In der Türkei wird oft nur Brot gegeben, da sich der Hirte teures Futter mit viel Fleisch gar nicht leisten könnte.

In den meisten Tierheimen werden die türkischstämmigen HSH oft nur unter dem Namen „Kangal" geführt. Da die genaue Herkunft der Hunde in der Regel nicht bekannt ist, erschwert dies häufig eine genauere Zuordnung. Die anerkannte Rassebezeichnung für den Kangal lautet „Anatolischer Hirtenhund" (FCI 336). In diesem Zusammenhang hört man auch oft vom „Karabasch" (Schwarzkopf), in der Türkei auch als „Berghund" bezeichnet, aus dem der „Kangal" gezielt ge­züchtet worden sein soll.

Typische Abgabegründe
Durch die konsequente Züchtung zum Herdenschutzhund und die dadurch genetisch verwurzelten Eigenschaften – etwa den Schutztrieb und die Unabhängigkeit von menschlichen Kommandos – entstehen die Schwierig­keiten in der Haltung oft mit dem Einsetzen der Geschlechtsreife, die mit dem 8. Monat beginnt. Welches sind nun die am häufigsten genannten Gründe zur Abgabe im Tierheim? Da wäre zunächst einmal die „Unverträglichkeit" mit anderen Hunden zu nennen. Oft wird auch von überforderten Haltern sinngemäß geäußert: „Der Hund macht, was er will." Beides ist jedoch in den Eigenschaften des HSH begründet. Durch seine imposante Größe und sein Gewicht bereitet er darüber hinaus vielen Haltern Schwierigkeiten beim Führen des Hundes. Immer wieder wird bei der Abgabe berichtet, dass man dieses unterschätzt hat. Bisweilen wird erkennbar, dass Familienangehörige sogar Angst vor dem eigenen Hund haben.

Zucht und Import
Das verstärkte Auftreten der HSH in Tierheimen ist auch durch das vermehrte Züchten dieser Rassen in Deutschland verursacht – obwohl einige HSH-Rassen auf den von Bundesland zu Bundesland differierenden Rasselisten der sog. „gefährlichen Hunde" erfasst und mit entsprechenden Zucht- und Haltungseinschränkungen belegt sind, wie etwa der Kangal in Hessen. Daneben gelten gerade Kangals unter türkischstämmigen Migranten oftmals als „Statussymbole", deren Haltung gesellschaftlichen Aufstieg und Stolz auf die Herkunft signalisiert. Und so ist auch oft das unbedachte Mitbringen dieser Hunde von Be­suchen im Herkunftsland zu beobachten. Daneben ist es auch nicht verwunderlich, dass im Internet mittlerweile ein riesiges Angebot an HSH vorhanden ist, vermutlich illegal importierte Kangalwelpen sind dort schon für Schnäppchenpreise ab 20 Euro zu haben.

Auffällig ist ebenfalls das vermehrte Kreuzen der HSH untereinander und auch mit anderen Rassen. In unserem Tierheim werden immer wieder Kreuzungen mit Schäferhunden, Huskys, aber auch Retrievern oder Rottweilern abgegeben. Da die Mischlinge über viele Eigenschaften der HSH ver­fügen, gelten hier die gleichen Vermittlungshemmnisse. Es gibt kaum Halter, die den Hunden dieser Rasse eine fach- und vor allen Dingen tiergerechte ­Haltung bieten können. Vor der Anschaffung eines HSH müssen gründliche Kenntnisse erworben werden.

Und so haben in unserem Tierheim gerade Kangals die sog. ­„Kampfhunde" als Schützlinge mit den längsten ­Aufenthaltsdauern abgelöst – ­schade für diese tollen Tiere, die wahrlich ­bessere Haltungsbedingungen verdient haben!