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Vom TierHEIM ins DaHEIM

Jede einzelne Hundevergabe hat Einfluss auf das Image von Tierheimhunden. Je mehr passende Adoptionen durchgeführt werden, umso mehr Menschen werden ein Tierheim als den bevorzugten Ort sehen, von dem sie sich einen Hund holen. Daher muss die Grundlage jeder Vergabe ein ausführliches, offenes Beratungsgespräch mit den Interessenten sein. Dabei geht es vor allem darum, die Erwartungen der Interessenten mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Hundes abzustimmen. Deshalb sollte es schon im Interesse des Tierheims oberste Priorität haben, den Interessenten so viele Informationen über den ausgesuchten Hund zu geben, wie irgend möglich. Hierzu gehören seine Vorgeschichte, seine Vorlieben und Stärken, aber auch seine Schwächen und Schwierigkeiten. Die potenziellen neuen Halter sollen die Chance haben, sich ein genaues Bild von dem Hund zu machen, damit sie einschätzen können, ob er in ihr Leben passt. Dazu ist es selbstverständlich erforderlich, dass der gesprächsführende Vertreter des Tierheims den jeweiligen Hund und seine Geschichte entsprechend gut kennt.

Abklärung von Erwartungen und Interessen anstelle von Vergabeexperimenten
Es ist weder dem Hund noch den Interessenten gegenüber fair und anständig, Experimente mit ungewissem Ausgang zu machen und „einfach mal auszuprobieren, ob es klappt". Nur Menschen, die wissen, worauf sie sich einlassen, und die auch ehrlich bereit sind, an bestehenden Problemen weiter zu arbeiten, haben mittelfristig eine Chance, mit diesem Hund wirklich zu einem Team zu werden. Andererseits muss man ihnen aber auch ganz klar sagen, wenn sie überzogene und unrealistische Forderungen an den jeweiligen Hund haben. Der Golden Retriever etwa, der schon mehrfach geschnappt hat, wenn es ihm zu eng wurde, wird niemals als Therapiehund für Schwerstbehinderte geeignet sein. Hier klare Worte zu sprechen und auch darauf zu bestehen, dass die Interessenten dies wirklich akzeptieren, muss eine Kernaufgabe des vermittelnden Beraters sein. Hunde, die im neuen Zuhause überfordert werden und die Dinge leisten sollen, zu denen sie nicht Imstande sind, landen postwendend wieder im Tierheim, womit schließlich niemandem geholfen ist – am wenigsten dem Hund.
Die Beratung der Interessenten gehört in 27% der Tierheime zu den Aufgaben der Pfleger (Mertens, 1994). Diese Lösung kann durchaus positive Aspekte mit sich bringen, da die Betreuer sich bei ihrer Arbeit ein genaueres Bild über die Hunde machen konnten. Dazu gehört aber auch, dass das Personal über entsprechendes Grundlagenwissen über Hunde verfügt und gewährleistet, dass hundliche Verhaltensweisen richtig beobachtet und interpretiert und nicht persönliche Meinungen und (Fehl-)Einschätzungen als Tatsachen dargestellt werden. Wichtig ist, denjenigen Mitarbeiter zum Vergabegespräch heranzuziehen, der den Hund am besten kennt und einschätzen kann. Schriftliche Unterlagen über jedes einzelne Tier können mithelfen, die wichtigsten Informationen für alle Beteiligten transparent zu machen.

Ehrliches, umfassendes Vergabegespräch als Basis jeder Vermittlung
Für ein Vergabegespräch sollten sich alle Beteiligten ausreichend Zeit nehmen. Der Interessent, weil es seine erste Chance ist, den Hund kennen zu lernen und Informationen über ihn zu erhalten, und das Tierheim, weil hierbei der bes-te Eindruck über die Passung zwischen Hund und potenziellem neuen Halter entsteht. Die Zeit für ein Vergabegespräch ist gut investiert. Schließlich geht es hier um eine Entscheidung für viele Jahre! Selbstverständlich sollten alle dabei sein, die in Zukunft mit dem Hund zusammen leben oder regelmäßig mit ihm zu tun haben.
Das Gespräch sollte auch wirklich ein solches sein und beiden Seiten die Chance zum Informationsaustausch geben. Wichtig ist zunächst, die Vorstellungen der Interessenten zu erfahren, sie erläutern zu lassen, für welchen Hundetyp sie sich grundsätzlich interessieren. Folgende Fragen und Überlegungen sollen neben den Vorstellungen des Interessenten mithelfen, den richtigen Hund auszuwählen:

– Welche Familienkonstellation ist im Haushalt gegeben? Singlehaushalt oder Familie? Mann, Frau, eventuell Eltern oder Großeltern? Leben Kinder im Haushalt und falls ja, wie viele und wie alt sind sie?
– Gibt es noch andere Tiere wie Katzen, weitere Hunde, Pferde, Vögel etc. im Haushalt? Sind diese an Hunde gewöhnt und besteht gegebenenfalls die Möglichkeit, diese Tiere vorübergehend zu trennen und langsam aneinander zu gewöhnen?
– Sind alle in der Familie mit der Anschaffung des Hundes einverstanden oder bestehen von Seiten eines Familienmitglieds Vorbehalte?
– Wie sieht der Tagesablauf aus? Sind die Interessenten berufstätig, muss der Hund auch ab und zu alleine bleiben, und falls ja, wie lange? Gibt es jemanden, der den Hund betreuen kann, wenn die Interessenten abwesend sind oder etwa in Urlaub fahren? Dies sollten nicht ständig wechselnde Personen sein, sondern im Idealfall die immer gleiche, die der Hund auch gut kennt.
– Welche Erwartungen haben die künftigen Besitzer an den Hund? Soll der Hund ein Begleiter im Alltag sein, ist geplant, mit ihm sportliche Aktivitäten wie Laufen, Radfahren oder Bergwandern durchzuführen? Bestehen spezielle Erwartungen an ihn wie zum Beispiel die Ausbildung zum Therapiehund etc.?
– Wie verbringt der Interessent bevorzugt seine Freizeit? Mag er es eher gemütlich, ist er gerne zuhause und sucht dafür einen Begleiter, der ihm Gesellschaft leistet, oder ist er eher sportlich aktiv und viel unterwegs?
– Sind die Interessenten eher gesellig, empfangen sie viel Besuch, haben sozusagen ein „offenes Haus" und gehen auch gerne zu Freunden, zu denen sie den Hund mitnehmen möchten, oder sind sie eher introvertiert und lieber unter sich?
– Wie sind die Wohnverhältnisse? Leben die Interessenten in einer Wohnung, wenn ja, wie groß ist sie und bestehen dort ausreichend Rückzugsmöglichkeiten für den Hund? In welchem Stockwerk leben die Interessenten, ist es dabei erforderlich, dass der Hund Treppen steigen muss? Dies kann insbesondere für große Rassen und/oder ältere Hunde ein Problem sein. Gibt es erforderlichenfalls Alternativen zum Treppensteigen? Oder leben die Interessenten in einem Haus mit Garten? Ist es ein Ein- oder Mehrfamilienhaus, in einer Siedlung oder eher einzeln gelegen? Ist das Grundstück eingezäunt und falls ja, wie hoch und wie ausbruchssicher? Sollte es sich um ein Mietobjekt handeln, liegt dann eine schriftliche Einverständniserklärung des Vermieters zur Hundehaltung vor?
– Wie viel Zeit pro Tag steht für die intensive Beschäftigung mit dem Hund zur Verfügung?
– Verfügt der Interessent über Hundeerfahrung und falls ja, mit welchen Rassen?

Diese Fragen sollen helfen, unter den vorhandenen Hunden möglichst passende auszuwählen, die dann einzeln im Auslauf oder in einem Aufenthaltsraum vorgestellt werden können. Dabei ist es wichtig, diese Fragen vor der eigentlichen Vorstellung einzelner Tiere zu klären, denn wenn ein Interessent erst von Angesicht zu Angesicht vor einem Hund steht, besteht die Gefahr, dass die ursprünglichen Erwartungen der Augenblickslaune angepasst werden, insbesondere, wenn der Hund besonders entzückend oder besonders arm dran ist. Dies kann manchmal in Ordnung sein, manchmal verfliegt jedoch der Charme der ersten Begegnung schnell, und der Hund wird dann wieder zurück gebracht, weil er den ursprünglichen Erwartungen nicht entspricht, gar nicht entsprechen kann.

Einzelvorstellung der Hunde statt „Shopping" entlang der Zwingeranlage
Ein Gehen durch die Zwingeranlage des Tierheims, um Hunde auszuwählen, ist aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll:

– Die Stressbelastung durch vorbeiströmende Besucher ist für die Tiere sehr hoch, viele neigen zu Überreaktionen und regen sich enorm auf. Gerade bei der Gruppenhaltung besteht dann die Gefahr, dass Hunde ihre Aufregung umadressieren, was bedeutet, dass es innerhalb der Gruppe zu Beißereien kommen kann. Der erste Eindruck, den Mensch und Hund voneinander bekommen, ist in all’ dem Lärm und Chaos nicht gut.
– Eine wirkliche Kontaktaufnahme ist durch die Zwingertür nicht möglich, und der Eindruck, den ein Hund an der Zwingertür hinterlässt, entspricht im Regelfall nicht seinem wirklichen Wesen. Vielen Hunden wird so die Chance auf eine erfolgreiche Vermittlung von vornherein genommen.
– Die Interessenten ermüden auch beim Durchgehen durch die Zwingeranlage, schalten nach einiger Zeit ab, weil sie die vielen unglücklichen Hundeaugen nicht mehr sehen können.
– Die Chancen für weiter hinten sitzende Hunde sinken, weil sie kaum Beachtung finden. Manche von ihnen trauen sich nicht nach vorne, weil dort die lebhafteren am Gitter toben und sie sich deshalb lieber zurückziehen.

All’ dies sind Aspekte, die bei der Vorstellung der Hunde im Freilaufgelände oder im Besprechungsraum wegfallen. Der Hund präsentiert sich nach einer Phase des Austobens so wie er wirklich ist – lebhaft oder eher ruhig, scheu oder extrovertiert, schüchtern oder offenherzig etc.. Die Einzelvorstellung ermöglicht es den Interessenten darüber hinaus, sich genau auf diesen Hund zu konzentrieren und sich wirklich nur mit ihm zu beschäftigen. Wie, dazu einige Tipps.

Das Kennenlernen Ihres Hundes im Tierheim
Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck, daher sollte die Erstbegegnung sorgfältig gestaltet werden. Bedenken Sie als Interessent bitte Folgendes:

– Der Hund kennt Sie nicht, er weiß nicht, wer Sie sind, dass Sie ihn eventuell zu sich nehmen wollen und ihm ein schönes Zuhause bieten. Er ist nur aufgeregt. Zunächst einmal, weil er nach draußen darf, dann weil fremde und auch vertraute Menschen anwesend sind. Er will als Erstes nur herumlaufen und alles erkunden. Je unaufdringlicher und positiver Sie diesem Hund jetzt begegnen, umso besser ist der Eindruck, den er von Ihnen hat.
– Geben Sie dem Hund Zeit! Seien sie nicht enttäuscht, wenn er sich nicht sofort für Sie interessiert, warten Sie geduldig ab. In einigen Minuten wird er vorbei kommen und nachschauen, wer Sie sind. Seien Sie freundlich, bieten Sie ihm Leckerchen an und lassen sie ihn wieder gehen. Wenn er sich ausgetobt hat, wird er sich ganz von selbst intensiver mit Ihnen beschäftigen. Häufig bewährt es sich, mit dem Hund dann ein kurzes Stück spazieren zu gehen. Sprechen Sie ihn dabei gelegentlich freundlich an.
– Sie bemerken bald, ob es zwischen Ihnen und diesem Hund stimmt, ob Sie und der Hund das „gewisse Etwas" spüren, das Ihnen sagt, dass Sie mit ihm die nächsten Jahre verbringen wollen. Wenn es so ist, planen Sie noch ein bis zwei Besuche im Tierheim ein, bei denen Sie mit dem Hund spazieren gehen, bevor Sie ihn endgültig zu sich holen. Lassen Sie eventuell etwas für ihn zurück, das nach Ihnen riecht, zum Beispiel einen alten Pullover oder ein T-Shirt. Damit helfen Sie ihm, schneller zu etwas Vertrautem in seinem Leben zu werden. Zieht der Hund dann schließlich ganz bei Ihnen ein, nehmen Sie diesen Gegenstand wieder mit, dann hat er in seinem neuen Zuhause wiederum etwas bereits Bekanntes, das ihm Sicherheit gibt. So wird ihm der Start in ein gemeinsames Leben mit Ihnen leichter und angenehmer gestaltet.
– Besonders viel Zeit sollten Sie sich nehmen, wenn Sie sich für einen ängstlichen, unsicheren Hund interessieren. Bedenken Sie: Sie können Vertrauen und Zuneigung nicht erzwingen, nur gewinnen. Planen Sie häufige, kurze Besuche ein, bei denen Sie zunächst nur anwesend sind, gewinnen Sie den Hund schrittweise für sich. Die Geduld wird sich lohnen, und Sie bekommen ein Vielfaches von dem zurück, was Sie anfangs investiert haben. Bei sehr scheuen Hunden dürfen Sie aber im Tierheim keine Wunder erwarten. Sie werden wahrscheinlich nicht erreichen, für einen solchen Hund allein durch regelmäßige kurze Besuche eine Vertrauensperson zu werden und seine vorbehaltlose Zuneigung zu gewinnen. Wenn Sie einige Zeit mit einem solchen Hund verbracht haben, so viel, dass er Sie wiedererkennt, erste Anzeichen von – wenn auch zurückhaltender – Freude zeigt, Sie zu sehen, und Sie sicher sind, den Weg mit diesem Hund gehen zu wollen, holen Sie ihn zu sich nach Hause. In der neuen Lebenssituation arbeitet die Zeit dann für Sie beide, und Sie werden schneller zu etwas Vertrautem als nur durch Besuche im Tierheim. Lassen Sie sich aber unbedingt eingehend von der Person beraten, die den Hund bisher betreut hat, damit Sie sich so gut wie möglich auf ihn einstellen können.

Eine Studie (Mertens, 1994) untermauert, dass es sich lohnt, vor der Übernahme eines Hundes Zeit mit ihm zu verbringen: Nach mehrmaligem Spazierengehen waren 91% der Besitzer mit der Wahl ihres Hundes zufrieden, während es von den übrigen, die keine Spaziergänge machten, nur 85% waren.

Stellen Sie Fragen!
Fragen Sie alles, was Sie wissen wollen. Verantwortungsvolle Tierheimmitarbeiter werden sich Zeit für Sie nehmen, Ihnen so viel wie möglich erklären und Ihnen Tipps für die ersten Tage und Wochen mit dem Hund geben. Auch ein paar grundlegende Trainingsempfehlungen, wie Sie mit dem Hund weiterarbeiten sollten, und die Nennung von guten Hundeschulen und qualifizierten Hundetrainern ist ein wichtiger Bestandteil eines seriösen Vergabegespräches.

Ebenso wie sich ein verantwortungsvoller Mitarbeiter des Tierheims Zeit dafür nimmt, Ihre Fragen umfassend zu beantworten, sollten Sie ein ausführliches Vergabegespräch mit eingehenden Fragen nicht als überflüssig betrachten oder geschweige denn als Schikane missverstehen. Es gehört zu den essentiellen Aufgaben eines Tierheims, vor der Vermittlung zu überprüfen, ob die Bedingungen für den Hund in dem angestrebten Zuhause optimal sind. Hingegen gehört es nicht zu seinen Aufgaben, es Interessenten so leicht wie möglich zu machen, an einen Hund heranzukommen, denn gerade weil es so leicht ist, überall einen Hund zu bekommen, sind Tierheime in der Regel übervoll. Die erfolgreiche Vermittlung eines Hundes in ein neues, gutes Zuhause gehört zu den schönsten Aufgaben im Tierheimalltag, die Rücknahme des Hundes zu den traurigsten. Um Letzteres wenn irgend möglich zu verhindern, wird all’ der Aufwand vor der Vermittlung betrieben.

Hierzu gehört auch eine so genannte „Platzkontrolle" durch einen Mitarbeiter des Tierheims. Sie dient der Überprüfung der Angaben des Interessenten und bietet Gelegenheit zu weiteren Fragen, die sich eventuell durch die Besichtigung des häuslichen Umfeldes ergeben. Selbstverständlich muss diese Platzkontrolle stattgefunden haben, bevor der Hund in dieses neue Zuhause vermittelt werden kann. Wenn Ihnen dieser Besuch eines Tierheimmitarbeiters in Ihren eigenen vier Wänden übertrieben erscheint, stellen Sie sich vor, Ihnen sei etwas passiert und deshalb müsse Ihr Hund in ein Tierheim. Nach einiger Zeit interessiert sich jemand für ihn. Wären Sie nicht sehr froh, wenn wirklich gründlich geprüft würde, wem er künftig anvertraut wird?

– Siehe auch Artikel zum Thema: „Tierheim als Themenpark" von Andrea Specht in WUFF 12/2003.

WUFF STELLT VOR


Die Autorin
Sabine Neumann, geboren am 1.1.1968 ist animal Learn Hundetrainerin (Informationen: www.traum-hund.com). Ein Schwerpunkt und Herzensanliegen ihrer Trainertätigkeit ist die Arbeit mit Hunden im und aus dem Tierheim. Sie ist im In- und Ausland beratend tätig, wenn es um Fragen der bestmöglichen Hundebetreuung geht, und beschäftigt sich im Tierheim Krems mit den so genannten „Problemhunden".
Ihr Buch „TierHEIM – Schicksal oder Chance?!" (animal Learn Verlag, www.animal-learn.de, Euro 32,–, ISBN 3-936188-28-9) ist kürzlich erschienen.