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Von Zwangskuscheln und Zwerghunden …

Die Kolumne zum Thema ­„Alltagsprobleme mit dem Hund". WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hunde­trainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund, kurz formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser Aus­gabe möchten WUFF-Leser wissen, wie sie ihren ­Zwergspitz – der nicht kuscheln will – ­wieder anschmiegsamer machen ­können.

Liebe Frau Adler!
Wir haben seit einiger Zeit einen Hund bei uns, welcher unsere Berührungen gar nicht so sehr mag. „Hektor" ein Zwergspitz liegt lieber alleine herum und ist kein wirklicher „Kuschler". Ab und Zu kommt er streicheln, das war es dann aber auch schon. Nun haben wir ihn von einer Zucht bekommen, wo auch extra beschrieben ­wurde, dass diese Hunde „Menschen und Ihre Nähe lieben würden". Haben Sie vielleicht einen Rat für uns?
Liebe Grüße,
Familie Herzog

Liebe Familie Herzog!
Hunde sind genauso wie wir Menschen Individuen. D. h. wenn Sie einzelne ­Tiere einer bestimmten Rasse und/oder Zuchtlinie betrachten, sind diese von der Persönlichkeit oft komplett ­verschieden. Jedes Individuum hat anders ausgeprägte Wesens- und Verhaltens­eigenschaften. Es spielt hier nicht nur der genetische Faktor eine Rolle, sondern auch die Lernerfahrung, die die einzelnen Tiere mitbringen. Gerade bei kleinen Rassen und dem Thema Kuscheln ist Folgendes sehr relevant: viele Menschen sehen Zwerg­rassehunde und kuscheln, streicheln und heben die Kleinen automatisch – egal ob sie es wollen oder nicht. Ich nenne dieses menschliche Verhalten immer „Zwangskuscheln".

Der Hund lernt dadurch sehr schnell, dass Menschen nicht nur positiv sind, sondern auch Unbehagen bedeuten können: Er wird durch dieses zwanghafte Kuscheln in eine Lage gebracht, in der er sich nicht wohl fühlt. Er wird eng festgehalten, verliert vielleicht sogar den Boden unter den Füßen und der Mensch reagiert teilweise auch gar nicht auf die Signale des Hundes, die dieser oftmals schon sehr massiv zeigt.

Gerade Jungtiere müssen durch den intensiven, menschlichen Kontakt schnell lernen, dass Menschen sich ganz anders verhalten als ­Artgenossen – dies aber nicht als Drohung oder Angriff meinen! Wir halten zu ­unseren Tieren zum Beispiel oft keine Individual­distanz ein, wenden den Blick nicht ab oder gehen keinen Bogen bei einer Begegnung, um dem Hund zu signalisieren, dass von uns keine Gefahr droht. Zusätzlich müssen sich Zwerg­rassen mit der enormen Größe der Menschen auseinandersetzen. Wenn man selbst sehr klein ist, ist ein groß gewachsener Mensch, der sich hinabbeugt, noch „bedrohlicher". Die Welt sieht von unten einfach anders aus, und das Leben in einer Welt voll zwei­beiniger Riesen, die sich aus Hunde­sicht oft sehr unhöflich verhalten, ist nicht einfach.
Trotzdem kommen die meisten ­Hunde sehr gut mit uns zurecht. Sie sind ­wahre Anpassungskünstler und nehmen uns viele „Kommunikationsfehler" nicht ganz so krumm. Deshalb ­lernen sie auch sehr schnell, mit neuen Lebensumständen zu leben und sich in der „Riesen-Welt" zurechtzufinden.

Zum Trainingsbeginn sollten Sie beim Tierarzt abklären lassen, ob Hektor komplett gesund ist. Körperliche Probleme, die Schmerzen verursachen, können dazu führen, dass er sich nicht anfassen lassen möchte, weil es einfach weh tut. Ist dieser Faktor abgeklärt, können Sie mit dem Training beginnen.

Wichtig ist hier in erster Linie, dass Sie Hektor im Trainingszeitraum nicht „zwangskuscheln" – also kuscheln, drücken, heben etc. obwohl er es (momentan noch) nicht schön findet. Dies kann den Lernerfolg schmälern! Zudem sollten Sie Ihren Hund nicht ohne Kommando heben. Dies wird gerade bei Zwergrassen sehr oft gemacht, obwohl diese teilweise gar nicht damit umgehen können. Ihnen wird regelrecht die Erde unter den Füßen weggezogen und sie sind am Arm richtig wehrlos, da sie ja „ihren" Menschen nicht verletzen wollen. ­Diese Situation kann durchaus beängstigend sein!

Sie sollten sich für das „Kuschel-Training" ausreichend Zeit nehmen und nichts erzwingen! Sie starten damit, sich z.B. auf den Boden zu setzen und sich zu entspannen. Wenn Hektor zu Ihnen kommt, loben Sie ihn mit feiner, sanfter und freundlicher Stimme und geben Ihm bspw. ein paar Leckerchen. Berühren Sie Ihn zu Beginn ganz sanft und nur an seinen Lieblingsstellen. Hektor soll immer von selbst kommen und auch die Möglichkeit haben, von selbst wieder zu gehen. Ihm nachzulaufen oder ihn festzuhalten würde wieder nur abschreckend wirken.

Wenn dies gut klappt, er immer öfter zu Ihnen kommt und auch länger bleibt, können Sie damit starten das Training schwieriger zu gestalten. Sie beginnen nun immer ein Kriterium nach einander zu verändern – zum Beispiel können Sie länger streicheln (Dauer), die Festigkeit der Berührung ­verändern (Intensität), das Training in einem anderen Raum durchführen (Ort) oder mit ihm arbeiten, wenn mehrere Leute sich im Raum bewegen (Ablenkung). Wichtig ist aber, dass immer nur EIN Kriterium in der jeweiligen Übungs­einheit verändert wird. Also wenn Sie die Dauer steigern, dürfen Sie nicht auch gleichzeitig den Ort wechseln.

Zusätzlich sollten Sie auch die ­Fütterung in Ihr Training einbeziehen. Achten Sie darauf, die Futterschüssel in Ihrer Nähe hinzustellen, und berühren Sie ihn immer wieder beim Fressen. Hier gilt das Gleiche: steigern Sie die Anforderungen immer weiter, je nachdem wie schnell er lernt. Wenn Sie Hektor viel berühren, dies auch zu Beginn immer mit positiver Emotion (Stimmungslage) und „guten Sachen" verbunden wird, lernt Hektor ganz, ganz schnell, dass Berührungen sehr toll sind.

Bitte beachten Sie auch hier, dass es immer einen Unterschied macht, wer Hektor streichelt. Es kann sein, dass Sie bald viel mehr mit ihm machen können, aber bspw. eine gute Freundin – weil sie eher fremd ist – weniger.

Ich wünsche Ihnen, dass Hektor der für Sie wichtige „Kuschel-Partner" wird und Sie viele gemeinsame, ­wunderschöne und entspannte Kuschel-Momente erleben.

Herzlichst,
Yvonne Adler