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Fünf Pitbulls und eine unendliche Rasselisten-Geschichte

Vor sechs Jahren begann in einem kleinen Ort in Niederösterreich diese unendliche Geschichte mit ­vielen Facetten. Schauplatz ist Rohrbach an der Gölsen im Gebiet des alten Noricum. Es ist eine ­Gemeinde mit etwas mehr als 1500 Einwohnern im Bezirk Lilienfeld und liegt im Mostviertel. Die Gemeinde ist, wie die meisten Gemeinden in Niederösterreich, „schwarz", das bedeutet, 15 von den 19 Gemeinderatssitzen entfallen auf die ÖVP. Bürgermeister ist Karl Bader.

In Rohrbach lebt auch Frau Leben mit ihrem Sohn, und mittlerweile ohne Hund, denn die Hunde wurden ihr im April 2014 abgenommen. Die Geschichte von Tibo, Laura, ­Tristan, Wendy und Kira, so heißen die fünf Hunde, beginnt aber schon früher, um genau zu sein, im Jahr 2008.

Damals holte Frau Leben einen Pitbull namens Tibo in ihr Leben, seinerzeit ein junger potenter Rüde. Im selben Jahr bekam sie über die von Maggie Entenfellner betreute Tierecke der Kronenzeitung eine junge Hundedame – Kira –, ebenfalls ein Pitbull. Es kam, wie es kommen musste, im September desselben Jahres erblickten vier stramme Welpen das Licht der Welt. Einer konnte vermittelt werden, der Rest blieb im Haus, das nun neben den hundlichen Vierbeinern auch 4 Katzen beherbergte.

Im Namen der Politik …
Das könnte die Tierliebe der Nachbarn, darunter auch die von ­Bürgermeister Bader und Vizebürgermeisterin ­Steyrer, die in nächster Nachbarschaft wohnen, vielleicht etwas ­überfordert haben. Hinzu kam, dass bekannt war, dass der Sohn von Frau Leben ein Suchtmittelproblem hatte. Und 2008 war der Begriff „Kampfhund" in Nieder­österreich bereits ­Thema, auch die Verbindung zwischen „Kampfhund" und Drogenmilieu wurde diskutiert. Damit wurden Frau Leben, ihr Sohn und die Pitbulls zur Zielscheibe der Politik. Frau Leben erzählt, dass 2009 eine Verwaltungsstrafe ins Haus ­flatterte, angeblich war die Hundesteuer nicht bezahlt worden. Ihre Mutter war kürzlich gestorben, aber Frau Leben beteuert, dass sie die ­Hunde rechtzeitig auf der Gemeinde umgemeldet hätte. Sie ist überzeugt, dass man bereits damals Mittel und Wege gesucht hätte, die ungeliebten Hunde loszuwerden.

Der Medienhype
Im September 2009 kommt es zu einem schlimmen Vorfall. Frau Leben erzählt, dass sie selbst nicht zu ­Hause war. Ihr Sohn, Markus P., war an diesem Abend in Begleitung einer ­Bekannten, Corinna H. und deren Tochter, ­Chiara, damals drei Jahre alt. Es war kalt in dieser Nacht, Markus, Corinna und die kleine Chiara waren mit der Bahn aus Wien gekommen. Der junge Mann, Markus, war damals 26 Jahre alt, bat seine Begleiterin mit ihrer Tochter draußen zu warten, denn im Haus waren die Junghunde, wilde, verspielte Pitbulls. Er wollte zuerst die Hunde wegsperren, denn ungestüme junge Hunde und ein kleines Kind sind keine gute Mischung. Es mag an der ­Kälte gelegen haben, Corinna H. wollte jedenfalls nicht mehr warten und betrat mit ihrer kleinen Tochter den Vor­garten, um ins Haus, ins Warme zu gelangen. Da kam es in der Dunkelheit, es war 21:00, zur Begegnung: Hunde und Kind. Die drei jungen Pitbulls waren den Tag über im Haus gewesen, sie waren voller Energie, das Kind war plötzlich mitten unter den Junghunden und dann floss Blut.

Einer der Hunde hat Chiara, vermutlich mit der Kralle, am Ohr verletzt. Bissverletzungen, wie in den Medien damals behauptet, sind keine schlüssig nachgewiesen worden. Ein paar Haarbüschel wurden ausgerissen. Markus P. gelang es, das kleine Mädchen aus dem Hundeknäuel zu befreien. In seiner Verzweiflung rief er seine Mutter, Frau Leben an, diese kam sofort nach Hause und brachte alle, Sohn, Kindesmutter und Kind ins Krankenhaus Lilienfeld. Da das Ohr teilweise abgetrennt und daher plastische Chirurgie von Nöten war, überwies man Chiara in das LKH St.Pölten. Dort wurde das Kind versorgt und im Krankenhaus aufgenommen.

14 Tage lang waren Mutter und Kind gemeinsam im Krankenhaus, denn bei kleinen Kindern ist es üblich, dass ein Angehöriger rund um die Uhr anwesend sein kann. Für Corinna H. sicher keine leichte Zeit, Corinna war zu diesem Zeitpunkt drogenabhängig. Der Fall hatte für die Kindesmutter auch weitere Konsequenzen. Sie musste Chiara abgeben, denn sie schaffte den Entzug nicht. Später haben der Kindesvater, ein gewisser Herr Gram, und Corinna H. von der Versicherung Schmerzengeld gefordert.

Aber wie ging es nun mit Frau Leben und ihren Hunden weiter?
Am 30. Juni 2010 wurde in Niederösterreich die Rasseliste eingeführt, eine Sachkunde für Hundehalter der gelisteten Rassen wurde Pflicht. Frau Leben hat mit ihren Hunden die Sachkunde im November desselben Jahres absolviert. Nach dem Vorfall mit der kleinen Chiara, der sich 2009 ereignete, und dem Jahr 2011 kam seitens der Behörden keine Reaktion. Erst am 30.5.2011 wird ihr ein Hundehalteverbot erteilt, das sich explizit auf ihre fünf Pitbulls bezieht. Als Begründung werden laut Frau Leben die Verwaltungsstrafen ihres Sohnes herangezogen.

Hundehalteverbot
Ihr Sohn ist ein wilder junger Mann, der aufgrund von Drogen sein Leben nicht in den Griff bekommt. Sie versucht ihm zu helfen, wo sie kann. Mütter tun das. Der Sohn kassiert fünf Verwaltungsstrafen, er hat meistens Tibo dabei, den er als seinen Hund betrachtet. Die Mutter kann ihm verbieten, den Hund auszuführen, aber der Sohn hält sich nicht daran. Frau Leben ist die Besitzerin der Hunde, sie erhält nun das Hundehalte­verbot.

Sie ist nicht nur eine liebende Mutter, sie ist auch für ihre Hunde verantwortlich. Sie wehrt sich gegen das Hundehalteverbot, erhebt Einspruch. Der Sohn wird in dieser Zeit immer depressiver, er spürt die Angst der Mutter und auch er hat Angst, die Hunde zu verlieren. Im Juni 2011 führt das zu einer Straftat, die ihn ins Gefängnis bringt. Das rettet sein Leben, denn hier schafft er endlich den Entzug und beschreitet den zweiten Ausbildungsweg. Er will ein neues Leben beginnen.

Die Mutter kämpft inzwischen weiter um ihre Hunde, ihr erster Einspruch wird abgewiesen, sie versucht es in allen Instanzen weiter. Bis sie schließlich verliert. Als ihr bewusst wird, dass dieser Kampf für sie nicht zu gewinnen ist, meldet sie in ihrer Verzweiflung die Hunde auf Freunde um, behält sie aber im Haus. Im Frühjahr 2014 ist es dann so weit, die Hunde werden behördlich beschlagnahmt und ins Tierheim St. Pölten gebracht, wo sie sie besuchen darf – und das tut sie, so oft sie kann. Meistens weint sie, wenn sie wieder gehen muss, denn sie liebt ihre Hunde sehr. Sie hat alle Rechtsmittel ausgeschöpft, sie hat keine Chance, die Hunde zurück zu bekommen, es sei denn, die Behörden reagieren menschlich und erlauben wenigstens dem alten Tibo zu Frau Leben zurückzukehren.

Sinnlose Rasselisten-Gesetze
Dieser Fall der Frau Leben hat in Niederösterreich einiges ins Rollen gebracht. Er war damals einer der Anlassfälle für die Einführung der ­Rasseliste. Und gleichzeitig zeigt gerade dieser Fall, wie sinnlos diese Gesetzgebung ist.

Der Vorfall ist in den eigenen vier Wänden passiert, da, wo 80% der Unfälle mit Hunden passieren, da, wo keine Rasseliste der Welt etwas verhindern kann. Im Fall von Frau Leben war nicht der Hundehalter, also sie schuld, denn sie war gar nicht anwesend. Auch der Sohn war nicht schuld, er hatte Corinna H. gebeten, mit ihrer Tochter draußen zu warten. Die Kindesmutter, eine drogensüchtige junge Frau, vermutlich nicht in der Lage für ein kleines Kind zu sorgen, hat die dreijährige Chiara in ein Rudel junger Hunde stolpern lassen und das hat dem Kind die Verletzungen eingebracht. Corinna H. wurde im Übrigen nach den uns vorliegenden Informationen nie angeklagt, obwohl sie den Unfall offensichtlich verursacht hat. Hätten die drei Hunde „töten wollen", dann hätten die Schlagzeilen damals noch einmal anders ausgesehen – und die Verletzungen ebenfalls. Die Behörden haben letztlich 5 Jahre (!) gebraucht, um die Hunde der Halterin abzunehmen. Ob die nunmehr verspätete Beschlagnahmung der Hunde mit den bevorstehenden Gemeinderatswahlen in Zusammenhang steht, können wir nicht beurteilen. Dazwischen hat die Halterin sogar den Sachkunde­nachweis für alle Hunde bestanden und auch Markus P., der Sohn. Obwohl es den Hunden im Tierheim St. Pölten gut geht, wären sie bestimmt lieber zuhause bei ihrem Frauchen.

Rasselisten, erhöhte Hundesteuer für gelistete Hunde, wie es in Niederösterreich üblich ist, können solche Unfälle nicht verhindern. Sie werden auch Rassefans, wie Frau Leben einer ist, nicht davon abhalten, Pitbulls zu halten. Rasselisten erzeugen Angst, Diskriminierung, Vorverurteilung, aber das ist schon alles. Wenn die Mitmenschen friedlich und sicher zusammen leben wollen, dann müssen sie sich an etwas erinnern, das sie vor den Rasselisten sehr gut wussten: Jeder Hund hat 42 Zähne, mit denen er ­beißen kann und ein Rudel ungestümer Junghunde ist eine schlechte Kombination mit einem dreijährigen Kind – egal welcher Rasse sie angehören.

Zuhause gesucht 

Tristan und Wendy
Die beiden sehr quirligen 6-jährigen Pitbulls Tristan und Wendy wurden gemeinsam mit ihrem Vater Tibo (8 Jahre) beschlagnahmt und verweilen derzeit im Tierheim St. Pölten. Frau Leben besucht die Drei so oft sie kann. Dennoch gelten die Hunde gesetzlich als verfallen und stehen frei zur Vermittlung. Vor allem Tristan und Wendy sind richtige Power-Pakete und für sie wird besonders intensiv ein neues Zuhause gesucht. Sehr schön wäre es, wenn Frau Leben mit den Hunden weiterhin in Kontakt sein könnte, da sie wirklich sehr an den Hunden hängt. ­Tristan und Wendy sind absolut freundliche und menschenbezogene Hunde. Wendy ist eine sehr sensible Hündin, die an der Trennung von ihrer Bezugsperson besonders leidet.

Kontakt:
Tierschutzverein St. Pölten
Gutenbergstrasse 26, A-3100 St.Pölten
E-Mail: office@tierschutzverein-stpoelten.at, Telefon: +43 2742 77272