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Sind wir selber schuld?

Als im Sommer 2000 in Deutschland kurz hintereinander zwei Todesopfer durch Hundeattacken zu beklagen waren, rief die Öffentlichkeit – aufgeputscht durch einseitige und reißerisch aufgemachte Berichterstattung in den Medien – nach strengsten Auflagen für die Haltung von Hunden, insbesondere für sog. „Kampfhunde". Innerhalb kürzester Zeit präsentierten die einzelnen Bundesländer Haltungsauflagen, die in Zucht- und Handelsverboten für bestimmte Rassen gipfelten. Diese im Volksmund „Kampfhunde-Verordnungen" genannten Auflagen konnten aber nur deshalb so schnell aus den Schubladen gezogen werden, weil die Länder schon seit einiger Zeit beabsichtigten, die Hundehaltung deutlich zu erschweren. Entsprechende Verordnungsentwürfe lagen längst vor.

Zunehmende Hundefeindlichkeit
Die Öffentlichkeit begrüßte diese Initiativen, zollten sie doch der in den letzten Jahren zunehmenden Hundefeindlichkeit Tribut. In der Folgezeit schien es eine Art Wettbewerb zwischen den Bundesländern zu geben, wer die strengsten Auflagen vorweist. Immer mehr Rassen und deren Mischlinge wurden in die Verordnungen aufgenommen. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass seitens kynologischer Sachverständiger stets betont wurde, die Gefährlichkeit eines Hundes hinge nicht von seiner Rasse, sondern von Aufzucht und Haltung ab.

Sind wir selber schuld?
Dieser an sich richtige Ansatzpunkt, dass das Problem am „oberen Ende der Leine" zu suchen sei, hat in letzter Zeit zu einer merkwürdigen Meinungsbildung unter einigen Hundehaltern geführt. Es häufen sich Meldungen, in denen Hundebesitzer die Ansicht vertreten, wir Hundehalter hätten die momentane Situation zum großen Teil selbst zu verantworten. Mangelnde Erziehung, zu wenig Rücksichtnahme, achtloses Liegenlassen der „Hinterlassenschaften" – dies alles hätte erst den Boden für die zunehmende Hundefeindlichkeit bereitet, an deren Ende die Haltungs-Verordnungen stehen. Ist diese Ansicht richtig? Ich meine, nein!

Kollektives Schuldverständnis?
Was soll das heißen, WIR Hundehalter hätten die jetzige Situation mit zu verantworten? Ich bin nur für mein eigenes Verhalten verantwortlich und sonst für niemanden. Wenn sich jemand rücksichtslos verhält, warum soll ich mich mit dieser Person in einen Topf werfen lassen, nur weil ich irgendein Merkmal mit ihr gemeinsam habe – egal, ob das die Haarfarbe, die Religion, die Nationalität oder eben ein Hund ist? Es ist schon schlimm genug, wenn seitens vieler Nicht-Hundehalter solche Verallgemeinerungen geäußert werden – geradezu unterträglich erscheint es mir, wenn jetzt Hundehalter anfangen, sich selber die Schuld in die Schuhe zu schieben!

Steckt die meisten Prügel ein
Was soll das bezwecken? Steckt dahinter die Hoffnung, Hundebesitzern würde wieder mehr Toleranz entgegengebracht, wenn diese sich selber die Verfehlungen einiger Unverantwortlicher anlasten? Das Gegenteil wird eintreten: Wer schuldbewusst, ständig mit einer Entschuldigung dafür, dass er überhaupt existiert, auf den Lippen herumläuft, verhält sich wie ein Omega-Tier im Rudel – und das steckt bekanntlich immer die meiste Prügel ein! Man sollte einmal über den tieferen Sinn des bekannten Spruchs aus dunkler Zeit nachdenken, der da lautet: „Hinter den Trommeln her trotten die Kälber, das Fell für die Trommeln liefern sie selber"!

– Da gefährden tagtäglich rücksichtslose Autofahrer andere Verkehrsteilnehmer – aber niemand spricht von DEN unverantwortlichen Autofahrern.
– Da werfen Kinder Steine von einer Brücke und verursachen schlimme Unfälle auf der Autobahn – aber niemand spricht von DEN unerzogenen Kindern.
– Da löscht ein Vater seine Familie in einem Wutanfall aus, ein anderer vergeht sich an kleinen Kindern – aber niemand spricht von DEN verbrecherischen Vätern.

Warum, bitteschön, spricht man dann von DEN rücksichtslosen Hundehaltern, bloss weil es EINIGE davon gibt? Warum gar lassen sich viele klaglos in einen Topf mit diesen werfen? Fühlen diese sich, so sie auch Autofahrer oder Familienväter sind, auch für die Taten jener verantwortlich? Macht die Tatsache, Mutter zu sein, automatisch zur Mittäterin, wenn eine andere Mutter ihre Kinder misshandelt? Wie absurd! Wieso soll sich jemand dann für das Fehlverhalten einiger Hundehalter verantwortlich fühlen, nur weil er zufällig selber Hundehalter ist?

Schuldprojektion auf Minderheiten
Die Hundefeindlichkeit hat ganz andere Ursachen, die nur zu einem geringen Teil in den Verfehlungen einiger Hundebesitzer zu suchen sind. Ist es nicht vielmehr so, dass jede Gesellschaft zu allen Zeiten das Bedürfnis nach einem Sündenbock hatte, wenn es ihr nicht so gut ging? Im alten Rom waren DIE Christen an allem schuld, später DIE Juden, schließlich DIE Ausländer – und nun eben DIE Hundehalter. Es ist eine perverse, aber leider allzu menschliche Eigenschaft, nicht die wahren Ursachen für Probleme zu suchen, sondern lieber – weil einfacher – auf irgendwelche Minderheiten die Schuld abzuschieben. Während des Wirtschaftswunders, als die Zukunft rosig und Arbeitskräfte Mangelware waren, wurden ausländische Gastarbeiter am Bahnhof mit Blumen empfangen. Heute, wo Arbeitslosigkeit herrscht, hervorgerufen durch Rationalisierung, Misswirtschaft, verfehlte Wirtschaftspolitik usw., da sehen gewisse Kreise alle Probleme nur in DEN ausländischen Mitbürgern. Ist ja so einfach!

Opferlamm und Sündenbock
Gleiches gilt für Hunde: als der soziale Frieden bei uns noch einigermaßen stimmte, wer hat sich da schon über Hunde aufgeregt? Sie gehörten zum täglichen Leben dazu, und auch der Kothaufen war kein Anlass zu großem Geschrei – weil jeder mit sich und seinem Leben zufrieden und im Reinen war. Angst vor Hunden war wenig verbreitet, von Hundefeindlichkeit konnte keine Rede sein. Freilaufende Hunde gehörten zum Alltagsbild, auch in den Städten und öffentlichen Grünanlagen. Das hat sich gründlich geändert: Zukunftsangst, Ellenbogengesellschaft, Umweltverschmutzung – kaum ein Tag, an dem man nicht mit Horrorvisionen überhäuft wird. Und die Masse reagiert darauf, wie sie es schon immer getan hat: Sie wartet nur auf einen zündenden Funken, um sich ihren Sündenbock zu suchen, den es zu opfern gilt, damit wieder alles schön und friedlich wird. Denn die Alternative, sich selber zu ändern, aktiv an der Lebensgestaltung – auch politisch – teilzunehmen und so zu grundlegende Verbesserungen beizutragen, ist ja viel zu mühselig …

Früher war´s nicht anders
Auch früher gab es Unfälle mit Hunden – leider manchmal auch mit Todesfolge. Auch früher gab es rücksichtslose Hundehalter, die ihren Hund überall hinmachen ließen oder ihn nicht erzogen. Aber immer wurde dies nur dem betreffenden Hundehalter angelastet, niemals der Menge ALLER Hundebesitzer. Was also war im Sommer 2000 anders? Zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Unzufriedenheit gesellten sich just letztes Jahr auch noch politische Skandale (Stichwort: Spendenaffären – schon vergessen?). Die Masse suchte ein Ventil für ihre Unzufriedenheit, Politiker eine Möglichkeit, von ihren Fehltritten abzulenken, und – last but not least – drohte den Medien zudem das berühmte Sommerloch. Und gerade da geschahen die schlimmen Unfälle in Gladbeck und Hamburg. Und schon war der neue, so dringend benötigte Sündenbock gefunden: DER HUNDEHALTER! Denn dass die Treibjagd auf „Kampfhunde" nur die Initialzündung für eine allgemeine Hetzjagd auf Hunde sein würde, war jedem klar, der nicht blind und taub war.

Sich zu seinem Hund bekennen!
Und dieses Spiel wollen einige auch noch freiwillig mitmachen? So nach dem Motto „ich halte auch die andere Wange hin?" Schon einmal hat jemand alle Schuld der Welt auf sich genommen, obwohl selber völlig unschuldig. Was hat es gebracht? Er wurde gekreuzigt und das Rauben und Morden ging trotzdem weiter! Nicht büßen für eine nicht-verursachte Schuld ist das Gebot der Stunde. Nein, mit hocherhobenem Haupt sich zu seinem Hund bekennen, stolz auf ihn sein und das auch zeigen, ihn hervorragend erziehen, Rücksicht nehmen, mit gutem Beispiel vorangehen – DAS ist die Devise!

Gegenseitige Rücksicht
Und was die so oft zitierte Rücksichtnahme angeht: sie ist IMMER etwas Gegenseitiges! Selbstverständlich hat man seinen Hund so unter Kontrolle zu halten, dass er niemanden belästigt – wenn sich aber ein Mountainbiker auf einem Feldweg in hoher Geschwindigkeit nähert, so dass gar keine Möglichkeit mehr besteht, die Hunde zu sich zu rufen, und dieser Mensch sich dann beschwert, weil ein Hund ihm im Weg stand und zum Bremsen zwang, dann verkrieche ich mich nicht in ein Mauseloch, sondern sage dem Radfahrer ein paar deutliche Worte! Und wenn jemand schon mit einer Anzeige droht, bloß weil ein 8 Wochen alter Welpe, der logischerweise noch nicht perfekt erzogen ist, es wagt, freundlich wedelnd auf diese Person zuzulaufen, dann fühle ich mich in keiner Weise schuldig, sondern habe allenfalls Mitleid mit diesem Menschen, der sich nicht einmal mehr an so einem kleinen Wesen erfreuen kann, sondern so naturentfremdet ist, dass er Angst oder Ärger beim Anblick eines Welpen empfindet.

Wenn somit seitens einiger Hundebesitzer die Meinung vertreten wird, wir alle hätten die allgemeine Hundefeindlichkeit mitverursacht, und wenn sie deswegen zu kollektiver Buße aufrufen, dann kann ich ihnen darauf nur erwidern: OHNE MICH!



>>> KYNOPHOBIE


Wenn Menschen Angst vor Hunden haben

Angst ist ein sehr persönliches Problem, viele Menschen haben Angst vor Spinnen, Schlangen usw. Verlangen sie etwa, dass die gesamte Welt spinnenfrei wird, damit sie ungestört leben können? Nein! Zahlreiche Frauen haben Angst, wenn ihnen auf einsamer Straße in der Dunkelheit ein Mann begegnet. Verlangen sie etwa, dass Männer abends das Haus nicht mehr verlassen dürfen? Nein! Denn Angst ist individuell und jeder muss sich mit seiner Angst alleine auseinandersetzen – zur Not mit fachkundiger Hilfe. Einzig Menschen, die Angst vor Hunden haben, meinen andere für ihre Angst verantwortlich machen zu können: die Hundehalter.

Stets wird behauptet, Hundeangst sei nur das Ergebnis negativer Erfahrung. Das stimmt genauso wenig, wie Angst vor Spinnen, Schlangen (oder Männern) erst entsteht, wenn man eine entsprechend schlimme Erfahrung gemacht hat. Wer ist in unseren Breiten schon jemals von einer Schlange attackiert worden? Und dennoch ist Schlangenphobie auch hierzulande ein weit verbreitetes Phänomen.

Nein, so lange ich mir nichts zuschulden kommen lasse, fühle ich mich nicht für die Hundeangst von irgendjemandem verantwortlich! Und ich lasse mir auch wegen der irrationalen Angst Einiger nicht vorschreiben, meinen Hund immer und überall nur noch mit Leine und Maulkorb auszuführen.