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Statt Töten: Resozialisierung schwieriger Hunde

Django ist ein kurzhaariger Labradormischling, kohlrabenschwarz mit glänzendem Fell und ausdrucksstarken, lebhaften Augen. Kaum komme ich oder einer der Betreuer an seinem Gehege vorbei, drückt er sich schon gegen den Zaun und buhlt förmlich um Aufmerksamkeit und Körperkontakt. Er ist anfangs ein wenig ungestüm und braucht Zeit, zu einem neuen Menschen Vertrauen zu fassen. Mit anderen Hunden versteht er sich ausgezeichnet. Daß er im Umgang mit seinesgleichen rücksichtsvoll und sogar ein wenig schüchtern ist, hätte anfangs niemand hinter seiner rauhen Schale vermutet.

Lebenslang unvermittelbar?
Denn als Django zu uns ins Tierheim kam, war er alles andere als pflegeleicht und streichelweich. Der fünfjährige Rüde schien nichts und niemanden zu mögen. Unausgeglichen, fahrig und aggressiv reagierte er auf seine Umgebung, die ihn bedrohte und verunsicherte. Er schien von der ganzen Welt enttäuscht zu sein. Annäherungsversuche lehnte er über einen langen Zeitraum völlig ab, ebenso jede Berührung. Er wollte nicht gestreichelt werden. Wurde er angesprochen, blitzten seine Augen zornig durchs Gitter. Artgenossen gegenüber präsentierte er sich in ähnlicher Weise, hektisch und aggressiv. Django war kein Hund, den man sofort in sein Herz schließt und andernorts wäre der Mischlingsrüde wahrscheinlich als unvermittelbar eingeschläfert worden.

Nicht verwahren, sondern beschäftigen
Django ist ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Tierheimhunde nicht nur hinter Gittern zu verwahren, sondern gezielt mit ihnen zu arbeiten. Das ist nicht immer leicht, denn Personal und Zeit sind knapp in Tierschutzhäusern und oft bleibt neben der täglichen Putzarbeit die Beschäftigung mit dem Tier auf der Strecke. Doch meist reichen schon kleine Hilfsmittel, um Zeitmangel auszugleichen. Ein ideales Behelf dazu ist der bewährte und beinahe unzerstörbare Kautschuk-Kong von Dr. Roger Mugford, den wir fast täglich einsetzen. Mit ihm zu spielen wird schnell langweilig, wenn niemand da ist, mitzuspielen. Nicht langweilig wird es dagegen, wenn der Kong mit Leckereien gefüllt ist. Die Betreuer verwenden meist ganz gewöhnliches Dosenfutter, das in den Kong gestopft wird. Große Kongs für große Hunde, kleine für die Minis. Diese leckere Beschäftigung lenkt ab und schmeckt gut. Bis zu einer Dreiviertelstunde liegen die Hunde mit ihren Kongs auf den Pritschen. Statt Gebell ist einheitlich lautes Schmatzen und Schlecken zu hören.

Gegen den Frust
Der Kong bewährt sich darüber hinaus gut bei Hunden, die aus Langeweile, Frust oder Protest ihre Matratzen und Decken zerfetzen. Die Schleckerei lenkt zumindest für eine Zeit ab. Vom Saulus zum Paulus wird ein vierbeiniger „Reißteufel“ zwar nicht, doch Matratzen und Decken haben eine deutlich längere Lebenserwartung.
Der gefüllte Kong ist in erster Linie für Hunde gedacht, die einzeln gehalten werden und deshalb unter Beschäftigungs- und Sozialmangel leiden. In Gruppen kann das Interesse am Kong des Nachbarn schon einmal ein Gerangel auslösen. Das muß bedacht werden.

Haltung im Hunderudel
Hunde, die wir in kleinen Gruppen zusammengewöhnen, haben den „Einzelsitzern“ auch ohne Kong einiges voraus. Sie leiden kaum unter Langeweile, beschäftigen sich mit ihren vierbeinigen Mitbewohnern, schließen Freundschaften und sind um ihre Position im Rudel bemüht. Natürlich gibt es kleine Eifersüchteleien, wird er eine oder andere in die Schranken gewiesen, ein Liegeplatz verteidigt oder die Konkurrenz vom begehrten Fensterplatz vertrieben. Doch das ist ganz normales Hundeverhalten und uns Menschen selbst ja nicht ganz unbekannt. Leben im Sozialverband, in der Gruppe, ist eben auch Herausforderung, Ansporn für jedes einzelne Individuum, sich zu behaupten, durchzusetzen und zu bewähren. Im Gegenzug dazu gibt die Gruppe Geborgenheit, Sicherheit, Spiel und Streicheleinheiten.

„Gruppentherapie“
Die Gruppe hilft auch, Ängste abzubauen. Hunde, die aus verschiedensten Gründen menschliche Nähe und Kontakt scheuen, können ihre Furcht im Schutz der Gruppe leichter ablegen. Sie lernen am Verhalten der anderen den menschlichen Betreuer mit positiven Erfahren zu verknüpfen. Der scheue Hund fühlt sich sicherer, weil er nicht im Mittelpunkt menschlicher Aufmerksamkeit steht und wagt bald erste schüchterne Annäherungen, anfangs oft nicht mehr als ein rasches Beschnüffeln oder unsicheres Entgegennehmen eines Leckerbissens. Viele Hunde, die Scheu vor Menschen zeigen, haben im Gegenzug keinerlei Probleme mit Artgenossen und sind deshalb mit „tierischer Hilfe“ leichter zu therapieren als in Einzelhaltung.

Abwechslung vom Tierheimalltag
Als einfache, doch sehr erfolgreiche Einführung in unserem Tierheim bewährte sich das Angebot an Tierfreunde, unsere Hunde spazieren zu führen. Eine gute Sache, von der beide Seiten profitieren. Die Hunde, weil sie ihr Bewegungsbedürfnis ausleben können und weniger von der Außenwelt isoliert sind, die Spaziergeher, weil sie stundenweise „ihren“ Hund haben, den sie aus verschiedensten Gründen selbst nicht halten können. Die Hunde freuen sich unwahrscheinlich, wenn es endlich hinaus geht. Sie können neue Eindrücke sammeln, begegnen neuen Gerüchen. Die täglichen Spaziergänge sind eine willkommene Abwechslung vom Tierheim-Alltag und erstaunlicherweise kommen die Hunde danach gern wieder „nach Hause“. Sie leiden nicht darunter, zurück ins Heim zu müssen, wie manche Tierfreunde befürchten, sondern lernen die Ausflüge als Teil ihres Tagesablaufes kennen und schätzen.
Die Spaziergeher bieten den Hunden den notwendigen Kontakt zu Menschen, ein Aspekt, der für die rasche Weitervermittlung eines Hundes sehr wichtig ist.

Anfängerhunde für Hundeneulinge
Für „Hundelaien“ gibt es „Anfängerhunde“ zum Spazierengehen, Tiere also, die unbekümmert und kontaktfreudig auf Menschen zugehen. Für unsere „Sorgenkinder“ haben wir erfreulicherweise einige hundeerfahrene Besucher, die sich bewußt mit diesen Tieren beschäftigen und sie in ihrer Freizeit ausführen. Besonders bei diesen Hunden wirken sich die Ausflüge sichtbar positiv aus. Über die Freude am bevorstehenden Ausflug werden aggressive Verhaltensmuster oftmals vergessen, Ängste überbrückt. Nicht selten verlaufen die ersten Spaziergänge scheinbar ohne jede Kontaktaufnahme, fast unbeteiligt laufen Mensch und Hund nebenher. Doch erste Fortschritte sind draußen im „neutralen“ Umfeld bald erzielt, viel schneller jedenfalls als drinnen in den Hundezwingern, wo Streßfaktoren wie lärmende Artgenossen und Enge entspannte Annäherungen kaum zulassen.
Ein freundliches Gestupse, ein zögerliches Schwanzwedeln, ein Herandrücken gegen die Beine, ein vorsichtiges Annehmen von kleinen Leckerbissen zeigt, daß der Hund bereit ist, beim Spaziergang erste Kontakte zu knüpfen.
Ausreichende Sozialkontakte zu Menschen und Artgenossen, therapeutisches Spielzeug und ein gewohnter Tagesablauf helfen Hunden in Tierschutzheimen, Aggressionen und Ängste abzubauen. Labradormischling Django hat dafür zwar einige Monate gebraucht, doch es hat sich für uns und ihn gelohnt. Es ist uns gelungen, seine anerzogenen Verhaltensmuster zu durchbrechen und den Hund zu finden, der er jetzt ist und wohl auch immer war. Anfangs versteckt hinter Mißtrauen, Ablehnung und Unsicherheit, heute unbekümmert und frei. Django lebt in einer Gruppe mit vier anderen Rüden, beim Spiel im Garten tobt er in einer ganzen Hundehorde. Mit Artgenossen hat Django keine Probleme mehr, mit den Menschen, die ihn umgeben, auch nicht. Auf das große Glück, einen hundeerfahrenen Menschen für sich ganz allein zu finden, darauf wartet er noch.

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Bemerkungen zur Konzeption des neuen Tierschutzheimes Krems
von Prof. Dr. Martin Pietralle, Verhaltensexperte aus Ulm

Die Aufgaben eines Tierheimes haben sich in neuerer Zeit beachtlich gewandelt. Waren es früher reine Auffang- und Verwahrheime, sind mit unseren gewachsenen Kenntnissen über arttypische Eigenschaften und Lebensbedürfnisse die Anforderungen an ein Tierheim deutlich anspruchsvoller geworden. Tiere sollen dort so gehalten werden, daß sich ihr psychosomatischer Zustand bessert oder zumindest stabil bleibt. Damit steigen die Chancen ihrer Weitervermittlung und sie starten mit einer guten Prognose. Folgeproblemen wird so vorgebeugt.

Warum kommen Hunde ins Tierheim?
Einige typische Gründe bringen Hunde in ein Tierheim: Der junge Hund kommt durch die Pubertät in das frühe Erwachsensein begleitet von den explorativen Tests seiner sozialen Umwelt. Das läßt ihn schwierig, teilweise aggressiv erscheinen. „Dominanzstreben“ ist ein gängiges Schlagwort dafür. Eine vermenschlichte Sicht des „verständigen“ Tieres leistet den Vorschub, kräftig gefördert von Medien und Werbung. Den anderen Teil bilden alte Hunde, die mehr oder weniger gut erzogen, zumindest aber mit Menschen gut vertraut sind.
Hunde aus schlechter tierschutzwidriger Haltung sind weit weniger häufig. Sie vermittlungsfähig zu halten, erfordert aber besondere Kenntnisse und Sorgfalt.
Desensibilisierungs- und Erziehungsprogramme für auffällige Hunde erfordern einen gesicherten Zugang zu ihnen, wobei sie sich frei bewegen können müssen. Hunde, die in beengtem Raum aggressiv reagieren und daher kaum handhabbar sind, können bei genügend Auslauf gut resozialisiert werden.

Rudelhaltung bestens bewährt
Ein ganz wesentlicher Aspekt eines zeitgemäßen Tierheimes ergibt sich aber durch die Möglichkeit der Rudelhaltung, die sich in allen Tierheimen, die ernsthaft davon Gebrauch machen, hervorragend bewährt hat. Die Hunde bleiben psychisch gesund und sie verbessern ihre innerartlichen sozialen Fähigkeiten. Unter diesen Umständen können auch Hunde, die aus unterschiedlichen Gründen nicht vermittelt werden können, ein artgerechtes und recht ausgeglichenes Leben führen. Die Beobachtung des bestehenden Sozialverhaltens erleichtert die Vermittlung der Hunde (oder die Übernahme einer Patenschaft mit der entsprechenden zugehörigen Betreuung) ungemein. Jeder kann beobachten, daß diese Hunde mit anderen umgehen können und jeder kann das Temperament und die Einordnung in die Hierarchie sehen. Damit wird das Kaufen der „Katze im Sack“ vermindert mit all den unangenehmen Begleiterscheinungen, die zur erneuten Rückgabe des Hundes führen.
Ein Tierheim in der heutigen Zeit zu bauen, daß nicht über Auslaufbereiche der verschiedensten Größe verfügt, ist ein Anachronismus. Zwischenfälle nach der Vermittlung sind zwangsläufig häufiger, wobei Unbeteiligte – oft Kinder – die Betroffenen sind. Die öffentliche Sicherheit fordert hier eine optimale Nutzung unserer heutigen Kenntnis über Tiere und ihre Bedürfnisse.

Ich wünsche dem Tierschutzverein Krems, daß es ihm gelingt, seine gut durchdachte Gestaltung in die Realität umzusetzen.
Martin Pietralla