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Tierheimhund Prinz

Prinz saß seit seiner Jugendzeit im Tierheim, bis zuletzt ließ er sich von keinem seiner Betreuer und Trainer anfassen. Aber halt, es gab da eine Ausnahme vor vielen Jahren, einen jungen Tierpfleger namens Alex, ein seltenes Naturtalent, der zur Zeit leider nicht Hunden, sondern den Büffeln im Tiergarten Schönbrunn das Fell krault. Unser Alltag sieht heute nicht anders aus als in den meisten Hundehaushalten –, und bereut habe ich meinen Entschluss keinen winzigen Augenblick.

Vertrautheit ist keine Frage der Jahre
Prinz, dessen Gesundheitszustand mir anfangs große Sorgen bereitete und einen eher kurzen Lebensabend erwarten ließ, hat sich wider alle Prognosen stabilisiert, und der alte Kerl denkt mittlerweile nicht mehr ans Abdanken. Der vierzehnte Geburtstag ist in greifbare Nähe gerückt. Und um es gleich vorwegzunehmen, es ist kein auf Mitleid gegründetes Nebeneinander, das unsere Beziehung prägt, sondern ein höchst inniges Verhältnis, das dem jahrelanger Vertrautheit in nichts nachsteht und mir viel bedeutet.

Manchmal, wenn wir unsere wortlosen Zwiegespräche führen, er mir einen seiner schokoladenbraunen Blicke schenkt, verschwimmen zwei Welten zu einer, treffen sich seine und meine Gedanken zu einem fröhlichen Geplänkel. „Wenn´s dich nicht stört, dass du dauernd hinter mir nachwischen musst (Prinz ist etwas inkontinent), bleibe ich noch ein Weilchen." Prinz zeigt mir sein Lachgesicht. Auch auf die Gefahr hin, dass einige Leser mich jetzt für verrückt erklären, die nonverbale Kommunikation zwischen Prinz und mir funktioniert besser als die zwischen den meisten (Ehe)paaren, die ich kenne. So stille Momente gegenseitigen Horchens passieren leider viel zu selten, meist führt der laute Alltags-Stress Regie.

Spielregeln, auf die Verlass ist
Prinz ist ein wunderbarer Gefährte. Wie bei jeder Partnerschaft hatten wir anfangs kleinere Schwierigkeiten, allerdings nie dort, wo ich sie vermutet hätte. Dieser alte Hund, der außer seinem Zwinger nichts kannte (und dort fleißig die Einrichtung markierte), war von Anfang an penibel darauf bedacht, seine Geschäfte draußen zu erledigen, und ein Häufchen im Garten ist ihm nach wie vor ein Gräuel. Da wartet er geduldig bis zum nächsten Spaziergang. Auch meine Befürchtung, ich werde meine Freunde als Gäste nur mehr recht selten zu Gesicht bekommen, hat sich in Luft aufgelöst. Langsam, aber mit bemerkenswerter Sicherheit hat sich unser Senior daran gewöhnt, dass manchmal andere Zweibeiner in unser Refugium eindringen und sich gemütlich niederlassen. Hieß es die ersten Monate noch, Prinz erst ins andere Zimmer locken, Gäste herein und hinsetzen, Hände auf den Tisch und niemals alleine aufstehen oder umhergehen, geht es heute wieder locker bei uns zu. Prinz hat begriffen, dass sein Wunsch, nicht angefasst zu werden, zuverlässig von allen akzeptiert wird. Er hat gelernt, uns in dieser Hinsicht vollkommen zu vertrauen. Heute können Besucher, selbst Hunde-Unerfahrene, einen halben Meter an ihm vorbeigehen, ohne dass er auch nur den Kopf hebt. Sowohl Gäste wie Hund halten sich an fixe Spielregeln, die Mensch und Tier Sicherheit geben.

Das Morgenritual
War es für meinen Mann anfangs ungewohnt damit umzugehen, Prinz nicht zu streicheln, kommt er heute gut damit zurecht. Er hat – eigentlich ganz ungewollt – ein sehr liebevolles Ritual mit unseren Hunden aufgebaut. Morgens (sehr morgens, denn mein Mann ist überzeugter Frühaufsteher), wenn unsere Hunde im Schlafzimmer liegen – die kleine Hündin Sui zu dieser Zeit im Bett zum Frühkuscheln, Prinz auf der Decke vor dem Bett –, wiederholt sich jeden Tag dieselbe spannende Geschichte. Mein Mann steht auf, Sui blinzelt, Prinz scheint noch zu schlafen. An der Türe entscheidet sich, was jetzt kommt. Geht er rechts Richtung Bad, wird weiter gedöst, doch schlägt er den Weg links zur Küche ein, kommt der alte Prinz oft ins Schleudern, so schnell ist er hinterdrein (Sui sowieso). Dann positionieren sich beide rechts und links neben dem Küchenblock, während mein Mann einige Scheiben Wurst in gerechte acht Teilchen schneidet (für Sui natürlich in Miniformat). Dann wird abwechselnd gefüttert, und ich denke, dass beide mittlerweile bis acht zählen können …

Zuneigung kennt viele Formen
Prinz begrüßt meinen Mann freudig, wenn er nach Hause kommt, geht ihm entgegen. Freundliche Worte – nur keine Hände, und die Hundewelt ist in Ordnung. Seit einiger Zeit leckt Prinz ihm die Hand oder kurz über die Wange, wenn mein Mann beim Fernsehen oder Lesen auf der Couch liegt. Ein kleines Erlebnis vor einigen Wochen hat mir eindrucksvoll bewiesen, wie sehr das Vertrauen dieses alten Hundes zu meinem Mann gewachsen ist. Im Badezimmer, wo Prinz im Sommer gerne liegt, ist er über ihn gestolpert und ist ihm dabei unsanft auf die Pfote getreten. Prinz hat kurz aufgejault und ist hochgefahren, doch er hat nicht nach ihm geschnappt! Und auch heute kann mein Mann auf Körperkontakt an ihm vorbeigehen, ohne dass Prinz sich bedroht fühlt. In den ersten Monaten lag die Distanz noch bei eineinhalb bis zwei Metern. Zuneigung muss sich nicht immer durch Anfassen mitteilen, es gibt subtilere Formen, Sympathie zu bekunden.

Wenn ein alter Wolf zum Kuschler wird
Trotzdem gestehe ich gerne, dass ich die Kuscheleinheiten mit meinem Prinzenbub sehr genieße, doch die sind von ihm gewollt und werden mitunter auf lästigste Weise eingefordert. Streicheln ließ sich Prinz ja schon viele Jahre von mir, doch dass er sich noch als penetranter Schmusebär entpuppen würde, hatte ich nicht erwartet. Wenn Prinz meint, es ist Zeit für sabbernde Liebesbekundungen, kennt er keinen Anstand. Auffordernd drückt er sich an mich, klebt an mir, verfolgt mich auf Schritt und Tritt, reibt seine Schnauze samt Essensresten in meine besten Hosen und beschlabbert mich so lange, bis ich bei ihm am Boden sitze. Wenn er sein Ziel erreicht hat, geknuddelt und gedrückt wird, seufzt und brummelt er vor Zufriedenheit ein immer gleiches Hundelied.

Auch Spaß versteht der alte Wolf inzwischen. Ein kleiner Knuff ins Hinterteil wird nicht mehr mit Misstrauen und grantig gekräuselter Schnauze quittiert, sondern als Spielaufforderung begeistert angenommen. Lustige Gerangel, wobei er meine Arme und Hände zwischen seine (übrigens trotz des Alters völlig zahnsteinfreie) Hauer nimmt und daran vorsichtig herumkaut, liebt er mittlerweile ebenso sehr wie fiktives Flohbeißen auf meinem Kopf – zweiteres genießt allerdings nur er.

Liebe ist alles
Mit einem Wort: Prinz hat die Welt entdeckt und mein Herz erobert. Er ist für mich der liebenswerteste und tapferste alte Kerl, den ich mir nur vorstellen kann. Elf Jahre musste er hinter Gittern warten, weil niemand ihm eine Chance geben wollte, einem wunderbaren Hund, der in seinem Leben nichts anderes wollte als vertrauen können und geliebt zu werden.

In der nächsten Ausgabe erzählt Andrea Specht von Till, dem Jagdterrier, der langsam verzweifelt. Auch er wartet bereits (s)ein Leben lang …