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Schur der Vibrissen – Verstoß gegen das Tierschutzgesetz?

Vibrissen sind als Tast- oder auch ­Sinushaare genannt ein wichtiger Teil des sensorischen Apparates. Hunde, die auf Zuchtausstellungen vorgestellt und bewertet werden, müssen klar definierte (Schönheits-) Merkmale erfüllen. Darunter findet man bei manchen Rassen auch das Rasieren der Vibrissen.

Für Pudel beispielsweise schließt die Ausstellungsordnung auch die Vibrissen in die Schur ein. Zugelassen sind verschiedene Arten von Schuren, die zum Teil auch das Abschneiden der Vibrissen verlangen (z.B. in der Ausstellungsordnung der Pudelfreunde Deutschland e.V.). Auch bei Havanesern scheint die Schur der Vibrissen nicht unüblich zu sein. Es stellt sich die Frage, wie diese Praxis unter tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten ist. Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Dr. Eugène Beaucamp ist die Schur der Vibrissen als Verstoß gegen Bestimmungen des TierSchG zu qualifizieren.

Vibrissen sind als Tasthaare ein wichtiger Teil des sensorischen Apparates. Nahezu alle Säugetiere verfügen in unterschiedlicher Ausprägung über Vibrissen. Sie bestehen aus dem Haarschaft und dem in der Haut liegenden Haarfollikel, der bei der Schur grundsätzlich nicht betroffen ist. Entfernt wird nur der Haarschaft. Vibrissen unterscheiden sich grundlegend von Fellhaaren. Insbesondere enthalten die Follikel mehr Nervengewebe, sie sind stärker durchblutet und haben über den größten der zwölf Schädelnerven eine »Verbindung« zum sensorischen Cortex, also der Region des Gehirns, die Sinneseindrücke verarbeitet. Die Forschung geht überwiegend davon aus, dass die Vibrissen auch für Hunde eine erhebliche sensorische Bedeutung haben. Hierfür spricht schon der Umstand, dass die Ausbildung oder Erhaltung »unnützer« Organe den Gesetzen der Evolution widerspricht. Die Natur kann es sich nicht leisten, Energie und (Gehirn)Ressourcen für funktionslose Organe zu verschwenden (so Winkelmayer/Binder, Gutachten über das Abschneiden von Vibrissen bei Hunden vom 17.12.2019).

Prof. Dr. Wilfried Meyer ist in seinem »Gutachten zur Bedeutung von Sinushaaren für unsere Haussäugetiere, unter besonderer Berücksichtigung des Scherens dieser Haare« (zitiert nach VG Hamburg, Beschluss v. 04.04.2018, 11 E 1067/18) zu dem Ergebnis gekommen, dass Vibrissen auch bei Hunden essenzielle Komponenten der Lebensführung sind. Das Abschneiden oder Kürzen von Vibrissen stellt danach einen massiven Eingriff in das Normalverhalten der Tiere dar und hat äußerst negative Auswirkungen auf die kontaktbezogene Orientierung und die Erfassung von Umgebungsreizen etwa im Rahmen der Körperkommunikation. Die Konsequenzen der Schur der Vibrissen für die Tiere, so das Gutachten, sind gravierend und können von Fehlverhalten bis hin zu psychischen Defekten führen.

In Deutschland gilt:
Gemäß § 6 I S. 1 TierSchG ist neben der vollständigen oder teilweisen Amputation von Körperteilen auch das Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres verboten. Die Kommentarliteratur zum TierSchG beurteilt das Abschneiden von Haaren nicht einheitlich. Teilweise wird ein Fall des § 6 I S. 1 TierSchG nur dann angenommen, wenn die Haarpapille ausgerissen oder verletzt wird. Nach anderer Meinung erfüllt das Abschneiden von Haaren den Tatbestand von § 6 I S. 1 TierSchG, wenn die Haare zwar nachwachsen, aber bis dahin biologische oder ethologische Funktionen der Haare nicht nur unwesentlich beeinträchtigt sind. Nach dieser Rechtsauffassung dürfte die Schur der Vibrissen bei Hunden wegen der oben beschriebenen Beeinträchtigungen gegen § 6 I S. 1 TierSchG verstoßen.

Gemäß § 1 S. 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Leiden sind alle Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, die über ein schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne andauern. Wohlbefinden ist der Zustand körperlicher und seelischer Harmonie eines Tieres in sich und mit der Umwelt (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 1, Rn. 19). Leiden äußern sich typischerweise in Verhaltensanomalien oder Verhaltensstörungen. Wenn Vibrissen »essenzielle Komponenten« der Lebensführung eines Hundes sind und ihre Entfernung einen massiven Eingriff in das Normalverhalten des Hundes darstellt, ist die Schur der Vibrissen als Beeinträchtigung des Wohlbefindens und damit als Leiden zu qualifizieren, das über einen längeren Zeitraum, nämlich so lange andauert, bis die Vibrissen nachgewachsen sind. Das Verbot des § 1 S. 2 TierSchG greift nur dann, wenn einem Tier ohne vernünftigen Grund Leid zugefügt wird. Ein vernünftiger Grund in diesem Sinne ist ein Grund, der triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen ist. Zudem muss der Grund unter den konkreten Umständen schwerer wiegen als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit und seinem Wohlbefinden (Lorz/Mezger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 1, Rn. 61). Werden Tiere zur Befriedigung von Freizeitinteressen oder Liebhabereien in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt, liegt regelmäßig kein vernünftiger Grund vor. Für die Schur von Vibrissen fehlt es danach an einem vernünftigen Grund. Denn sie verfolgt ausschließlich den Zweck, von Verbänden in Ausstellungsordnungen definierte »Schönheitskriterien« zu erfüllen, für die es keinerlei sachliche Rechtfertigung gibt.

Diese Einschätzung bestätigt das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebene Gutachten zur Auslegung von § 11 b TierSchG (Verbot von Qualzüchtungen) vom 02.06.1999, S. 46, das ein Zuchtverbot für Nacktkatzen empfiehlt, bei denen auch die Vibrissen fehlen oder so umgestaltet sind, dass sie ihre Funktion verlieren. Hierbei handelt es sich um einen Körperschaden, der die Fähigkeit zu arttypischem Verhalten so einschränkt, dass dies zu andauernden Leiden führt. Die Gerichte beurteilen solche Züchtungen – Sphynx-Katzen – als verbotene Qualzucht i.S.v. § 11 b TierSchG.

Die Schur der Vibrissen bei Hunden verstößt, je nachdem welcher Rechtsauffassung man folgt, gegen § 6 I S. 1 TierSchG oder § 1 S. 2 TierSchG. Möglicherweise ist damit zugleich der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 18 I Nr. 6 oder Nr. 1 TierSchG erfüllt. Derjenige, der einem Hund die Vibrissen abschneidet, bewegt sich rechtlich auf gefährlichem Terrain. Dies gilt vor allem für gewerbsmäßige Züchter. Wird wegen eines solchen Verstoßes ein Bußgeld verhängt, stellt sich die Frage nach der Zuverlässigkeit – und die ist Voraussetzung für die Erlaubnis gemäß § 11 I S. 1 Nr. a) TierSchG.

In Österreich ist davon auszugehen, dass das Abschneiden der Vibrissen beim Hund gegen § 5 Abs 1 des österreichischen Tierschutzgesetzes (öTSchG) verstößt, da in diesem das Verbot normiert ist, einem Tier ungerechtfertigt Schäden zuzufügen. Da es sich hierbei um eine Maßnahme handelt, die zur Beschädigung oder zum Verlust eines empfindlichen Körperteiles führt, ist das Abschneiden/Scheren dieser Haare als »Eingriff« im Sinne des § 4 öTSchG zu werten.

Nach § 7 Abs 1 öTSchG sind »Eingriffe, die nicht therapeutischen oder diagnostischen Zielen oder der fachgerechten Kennzeichnung von Tieren in Übereinstimmung mit den anwendbaren Rechtsvorschriften dienen, verboten, insbesondere gemäß Ziffer 1, Eingriffe, die zur Veränderung des phänotypischen Erscheinungsbildes eines Tieres führen.« Dies liegt bei der Schur der Gesichtshaare inklusive der Vibrissen jedenfalls vor.

Auf Grund der Bestimmung des § 7 Abs 5 öTSchG »Das Ausstellen, der Import, der Erwerb, die Vermittlung und die Weitergabe von Hunden, die nach dem 1. Januar 2008 geboren und an deren Körperteilen Eingriffe vorgenommen wurden, die in Österreich verboten sind, ist verboten. Das wissentliche Verbringen von in Österreich geborenen Hunden ins Ausland zum Zwecke der Vornahme von Eingriffen, die in Österreich verboten sind, ist verboten.« ergibt sich auch das Verbot, Hunde, deren Vibrissen abgeschnitten oder abgeschoren wurden, auszustellen.

Hier sei auch auf das Gutachten von PD Dr. Dorothea Döring verwiesen, welche in ihrer »Gutachterlichen Stellungnahme zur Problematik des Entfernens der Sinushaare beim Haushund« vom 17.12.2019 darauf verweist, dass in der Rassezucht zukünftig auf intakte Sinushaare geachtet werden sollte, da diese als Teil eines hundetypischen Sinnesorganes zum Phänotyp des Haushundes gehören. Bei einem Verstoß gegen die oben genannten Verbote der §§ 5 und 7 droht im Übrigen eine Geldstrafe bis zu 7.500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15.000 Euro. Es ist bekannt, dass in Österreich nach einer Hundeausstellung zu diesem Thema auch bereits ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet wurde, dessen Ausgang zu Redaktionsschluss noch offen war.

WUFF Information

Österreichisches Recht:
Dr. Susanne Chyba ist Rechtsanwältin in St. Pölten mit Sprechstelle in Wien und hat sich unter anderem auf Tierrecht spezialisiert.
Chyba & Engelmayer Rechtsanwälte OG
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Deutsches Recht:
Dr. Eugène Beaucamp ist seit 1991 als Rechtsanwalt tätig und unterstützt seit 2012 Rechtsanwältin Susan Beaucamp (www.kanzlei-sbeaucamp.de) im Tierrecht. Dr. Beaucamp gilt inzwischen als Spezialist im Bereich des Tierschutzgesetzes, insbesondere § 11 TierschutzG. Darüber hinaus berät Dr. Beaucamp eine Vielzahl von Tierschutzvereinen (Gründung, Satzung, Genehmigungspflichtigkeit)
www.beaucamp-beaucamp.de

Pdf zu diesem Artikel: vibrissenschur_recht